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Wiesbadner Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung: Die Anziehungskraft der Städte bröckelt

Wohnungsknappheit und hohe Wohnungspreise in den Städten - Das Umland bietet den Familien erschwinglichen Lebensraum, Naturnähe, Freiraum und soziale Infrastruktur

Wiesbadner Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung: Die Anziehungskraft der Städte bröckelt

Gefragtes Umland. Foto: picture alliance/dpa

Das Interesse am Leben auf dem Land nimmt zu. Durch Wegzüge haben die Großstädte in Deutschland 2021 einen so großen Bevölkerungsverlust erlitten wie zuletzt 1994. Die Zahlen, die das Wiesbadner Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) auf der Grundlage aktueller Daten des Statistischen Bundesamtes berechnet hat, zeigen: Im Vergleich zu 2019 sanken im Jahr 2021 die Zuzüge in die Großstädte um 5,4 Prozent. Zugleich stiegen die Fortzüge aus kreisfreien Großstädten in kleinere Städte wie auch ländliche Regionen um 1,8 Prozent an.

Als Wohnort ist zunehmend das städtische Umland gefragt. Die Geschäftsführerin von E&G private Immobilien in Stuttgart weiß um diese Entwicklung. „Die große Bewegung hat in den vergangenen Jahren zusammen mit dem niedrigen Zinsniveau stattgefunden", sagt Kerstin Schmid. ,,Die Familien, die sich kein Eigenheim in der Metropole leisten konnten, sind gern ins Umland gezogen, da hier die Preise etwas erschwinglicher waren, und das Homeoffice hat diese Bewegung begünstigt."

Während das Umzugsverhalten der 18- bis 29-Jährigen auf niedrigem Niveau blieb, zeigen die Zahlen des BiB, dass es tatsächlich vermehrt die Familien sind, die den Städten den Rücken kehren. Unter den 30- bis 49- jährigen ,,Stadtflüchtigen" lässt sich im Vergleich zwischen 2019 und 2021 ein Plus von 3,7 Prozent ausmachen, bei den Minderjährigen beträgt die Zunahme um die 8,9 Prozent.

Aufgrund der Wohnungsknappheit und der hohen Wohnungspreise in den Städten entdecken viele Menschen das Umland der Städte, wie auch das Land selbst, neu: Lebensraum, der mit Naturnähe, viel Freiraum und einer sozialen Infrastruktur punkten kann und mit Wohnraum, den man sich noch leisten kann. Altbacken war das Landleben gestern. Es bedurfte nicht erst der Pandemie, um die Wohnpräferenzen zu überdenken. Dank der durch sie vermehrt geschaffenen Möglichkeit des Homeoffice haben jedoch längere Wegstrecken zwischen Wohnort und Büro ihren Schrecken verloren. Wer nicht jeden Tag im Büro sein muss, nimmt eine Stunde Fahrtzeit durchaus in Kauf, wie eine Untersuchung von Empirica Regio zeigt. Das Marktforschungsinstitut hat unter den sieben größten Städten in Deutschland, zu denen auch Stuttgart zählt, die Stadtflucht untersucht und deutliche Zahlen erhalten: Entschieden sich 2018 noch 47.000 Menschen dafür, aus diesen Städten ins Umland abzuwandern, waren es im Jahr 2021 rund 56.000.

Wer sich beim Kauf einer Eigentumswohnung zwischen einem Quadratmeterpreis von durchschnittlich 5600 Euro oder einem, der knapp über 3000 Euro oder gar darunter liegt, entscheiden muss - wie etwa beim Vergleich der Angebote in Stuttgart mit denen von Göppingen, Bad Urach oder Balingen -, muss nicht lange überlegen. Kerstin Schmid merkt allerdings an: ,,Momentan ist tatsächlich sehr wenig Bewegung im Markt wie auch hinsichtlich in der Abwanderung ins Umland, da durch den viel höheren Zinssatz die Eigenheime selbst dort für Familien oft nicht mehr erschwinglich sind."

Von Julia Alber