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Familie & Leben

Kontrolle über Trauer gibt es nicht

Die Welt steht Kopf, wenn ein Angehöriger oder Freund stirbt. Verwandte und Freunde können wieder Stabilität ins Leben bringen, Trauernde sollten auf keinen Fall ausgegrenzt werden.

Kontrolle über Trauer gibt es nicht

Jeder Mensch trauert anders. Und auch ein Patentrezept für den Umgang mit Trauernden gibt es nicht. Foto: Werner Kuhnle

Trauer macht, was sie will, es gibt keine Kontrolle über sie. ,,Es ist ein Hoch und Runter, alles geht durcheinander, man kann sich auf nichts einstellen, es ist brutal“, erinnert sich Peter Schneider aus der Nähe von Mainz an die Trauer um seine Frau Grit.

Es ist fast sechs Jahre her, als der Sportredakteur abends nach Hause kam und sie tot fand. Ihr Herz hatte aufgehört zu schlagen. Für ihren Mann begann ein Albtraum.

Ohne Vorwarnung aus dem Alltag gerissen

Wenn ein Mensch unerwartet stirbt, werden die Angehörigen ohne Vorwarnung aus ihrem Alltag gerissen. Das ist oft schwerer zu begreifen und zu verarbeiten als ein absehbarer Tod, sagt Carmen Birkholz. Sie ist Vorsitzende des Bundesverbands Trauerbegleitung in Klingenmünster.

„Wenn man sich auf einen Tod vorbereiten kann, ist das schmerzhaft und es bringt Menschen an ihre Grenzen, doch sie können bewusst Abschied nehmen und noch einmal gemeinsam etwas erleben. Von diesen Erinnerungen zehren sie später." Wenn der Sterbende mit seinem nahen Tod offen umgehe, erleichtere das die Trauer ebenfalls.

„Der wichtigste Anker in dieser Trauerzeit ist das soziale Umfeld", sagt Birkholz. Wer in der Familie oder bei Freunden gut aufgehoben ist, hat es leichter. Zum Umfeld gehören auch Nachbarn, Kollegen und weitere Bekannte.

Betroffene fühlen sich wie Aussätzige

Foto: Werner Kuhnle
Foto: Werner Kuhnle

„Immer wieder erzählen Betroffene, dass ihnen aus dem Weg gegangen wird. Sie fühlen sich dann wie Aussätzige", berichtet Birkholz. Schneider erzählt, wie mehrfach die fröhliche Stimmung in einer Gruppe kippte, als er dazu kam. „Das war schlimm."

Er und die Fachfrau raten, auf trauernde Menschen zuzugehen. Wer nicht weiß, was er sagen soll, kann genau das sagen: ,,Ich weiß nicht, was ich sagen soll." Auch ein Stottern oder nach Worte ringen, sollte nicht gefürchtet werden.

„Es ist wie bei der Ersten Hilfe am Unfallort", vergleicht Peter Schneider. „Am schlimmsten ist es, nichts zu tun." Man solle mit Empathie auf den anderen eingehen und ihn vielleicht in den Arm nehmen, es würden sich schon Gesprächsthemen ergeben. Ein Patentrezept gebe es nicht.

Carmen Trauerbegleiterin Birkholz empfiehlt zudem, in den folgenden Wochen und Monaten nicht darauf zu warten, bis der Trauernde sich meldet, das fällt Menschen in dieser Situation oft schwer.

Trauernden immer wieder Kontakt anbieten

Immer wieder sollte ihm der Kontakt angeboten und gezeigt werden, dass seine Trauer in Ordnung ist und er dafür die Zeit hat, die er braucht. ,,Jeder trauert anders und hat andere empfindliche Punkte", sagt Peter Schneider.

Es ist wichtig, sich helfen zu lassen, empfiehlt er. ,,Ich habe nach jedem Strohhalm gegriffen, den ich finden konnte." Einige dieser ,,Strohhalme" entpuppten sich als starke Pfeiler im Umgang mit seiner Trauer, dazu gehörten eine Trauerbegleitung und eine Psychotherapeutin.

Peter Schneider lernte, dass Weinen nichts Schlimmes ist, ,,dabei kann nichts passieren". Und dass die Trauer sich immer wieder plötzlich und unerwartet zeigen kann.

Erste-Hilfe-Plan für schlechte Phasen notieren

,,Suchen und nicht finden", beschreibt Carmen Birkholz diese Phase, in der eine große innerliche Nähe zu dem Verstorbenen empfunden wird. Diese und auch andere Gefühle kommen in einer enormen Stärke, sie können nicht kontrolliert werden. Es hilft, dies zu akzeptieren und sich einen Erste-Hilfe-Plan für schlechte Phasen zu notieren.

Dazu sollte sich überlegt werden, was einem Erleichterung bringen kann: vielleicht Gespräche mit einem Freund, der Gassigang mit dem Hund, die Joggingrunde durch den Wald, Pizza essen, der Anruf bei der Telefonseelsorge oder einfach nur weinen.

Auch Rituale können in dieser Zeit helfen, ebenso das Schwelgen in Erinnerungen, der Gang zum Grab oder das Anzünden von Kerzen. Es ist zudem in Ordnung, sich abzulenken, sich also eine Pause von der Trauer in dieser anstrengenden Zeit zu geben. ,,An der Trauer heilt man. Der gestorbene Mensch findet zu einem Platz im Inneren", beschreibt Birkholz den Prozess. Irgendwann sei die Erinnerung an ihn nicht mehr zerreißend, sondern wärmend. Es entstehe Raum für Dankbarkeit für die gemeinsame Zeit.

Von Sabine Maurer, dpa