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Finanzen

Wie sich Unternehmen um Bewerber bemühen

Der Fachkräftemangel betrifft viele Branchen. Betriebe müssen sich mehr anstrengen als früher und die Kandidaten für einen Job mit guten Angeboten überzeugen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowie flexible Arbeitszeitmodelle spielen dabei eine entscheidende Rolle. Das gilt nicht nur für Berufseinsteiger.

Wie sich Unternehmen um Bewerber bemühen

Bewerber können häufig unter einer Vielzahl von Job-Angeboten wählen und stellen selbstbewusst Forderungen. Foto: dpa-tmn/Zacharie Scheurer

Die heutige Generation hat es auf dem Arbeitsmarkt deutlich leichter als ihre Eltern oder Großeltern. Bewerber können häufig unter einer Vielzahl von Job-Angeboten wählen und stellen deshalb selbstbewusst Forderungen.

,,Die Betriebe müssen sich um die Bewerber bemühen und sie mit Argumenten überzeugen, die über den Job hinaus gehen. Und das sollten sie auch aktiv kommunizieren", sagt Thomas Weise, Stellvertretender Abteilungsleiter der Abteilung Berufliche Bildung und Fachkräfte bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart. „Die junge Generation ist selbstbewusster und setzt andere Prioritäten. Vor allem die Vereinbarkeit mit dem Privatleben, die Work-Life-Balance, Arbeitszeitmodelle, Freiheitsgrade im Beruf oder die soziale Verantwortung des Unternehmens haben an Bedeutung gewonnen", beobachtet Weise.

Trend zum Studium hält an

Viele Betriebe haben zudem Probleme, Ausbildungsstellen zu besetzen, weil immer mehr Schulabsolventen lieber studieren. 60 000 Ausbildungsstellen blieben 2021 bundesweit unbesetzt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) prognostiziert, dass 2030 fünf Millionen Arbeitskräfte fehlen werden. Die Babyboomer gehen in Rente. Die zahlenmäßig viel kleinere Generation Y - das sind die nach 1995 Geborenen - kann die Lücken nicht füllen.

,,Unternehmen sollten flexibler sein", rät Weise. ,,Nicht alles ist möglich, aber vieles, und die Betriebe müssen Antworten haben. Sehr gut kommen zum Beispiel Angebote an, einen Teil der Ausbildung im Ausland zu machen." So mancher Unternehmer muss sich da umstellen. Die IHK bietet Seminare zu dem Thema an. Dabei geht es auch um die Bewerbungsverfahren. „Wir bemerken bei jungen Bewerbern, dass die Anforderungen an die Reaktionszeiten deutlich gestiegen sind: Das wird auch gefördert durch die Möglichkeiten zur Bewerbung über Quick Apply, zum Beispiel auf den sozialen Netzwerken", sagt Nicole Kurz, Personalverantwortliche bei Kärcher, dem Hersteller von Reinigungsgeräten und Hochdruckreinigern aus Winnenden. Kärcher erhält jährlich bis zu 30 000 Bewerbungen und hat in diesem Jahr 400 Mitarbeiter eingestellt.

Der Motorsägen- und Gartengerätehersteller Stihl aus Waiblingen hat laut Juliane Brede, Leiter in der Abteilung Recruiting und Employer Branding, „schon immer einen sehr guten Bewerbungsprozess gehabt und schnell reagiert. Wir geben beispielsweise immer unsere Durchwahlnummern für Rückfragen an und haben rasche und transparente Prozesse. Wir sind nahbar und begegnen den Bewerbenden auf Augenhöhe. Zudem nutzen wir die Möglichkeiten der Digitalisierung aktiv", erzählt die Managerin.

Bewerber treten selbstbewusst auf

Nach Ansicht Bredes ist das neue Selbstbewusstsein von Bewerbern angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt nicht in erster Linie eine Generationenfrage: „Wir müssen uns heute mehr strecken als früher, aber nicht nur gegenüber jüngeren Bewerbern. Wir haben zwar mehr als 30 000 Bewerber pro Jahr, weil wir stark wachsen, aber auch 200 offene Stellen, insbesondere in den Zukunftstechnologien und in den wachsenden Geschäftsfeldern Akku, Elektronik, Software, Digitalisierung."

Bei Kärcher beobachtet man bei jüngeren Bewerbern weniger Verbindlichkeit. Das bestätigt auch Weise: ,,Das Pre-Boarding wird immer wichtiger. Betriebe versuchen immer mehr, in der Phase vom Vertragsabschluss bis zum Arbeitsbeginn Kontakt zu halten, etwa durch Einladungen zum Sommerfest. Denn es kommt zunehmend vor, dass der Mitarbeiter, die einen Vertrag unterschrieben hat, zum Ausbildungsbeginn einfach nicht erscheint."

Junge Leute fragten auch vermehrt nach Teilzeitmöglichkeiten, heißt es bei Kärcher, nach flexibleren Arbeitszeiten. Arbeit solle das Leben nicht mehr definieren, sondern bereichern. „Die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit, der sogenannte Purpose, und auch die Nachhaltigkeitsaktivitäten des Unternehmens stehen heute bei den meisten Bewerber*innen deutlich stärker im Vordergrund. Unseren Purpose haben wir dieses Jahr zusammen mit unseren Mitarbeitenden weltweit herausgearbeitet", sagt Kurz.

Bei vielen Bewerbern hat infolge der Corona-Pandemie auch der Wunsch nach Struktur und Sicherheit zugenommen. Die Job-Kandidaten schätzten unbefristete Stellen, ist bei Kärcher zu hören. Brede von Stihl hebt die nach wie vor große Bedeutung der Tätigkeit hervor. „Es ist nicht so, dass nur die Freizeitorientierung zentral ist. Der Inhalt der Aufgabe und die beruflichen Perspektiven haben immer noch den höchsten Stellenwert. Alle Bewerber, sowohl Berufseinsteiger als auch die Menschen mit Berufserfahrung, achten heute mehr als früher auf ein gutes Verhältnis zwischen privaten und beruflichen Aspekten." Brede spricht von „stärkeren individuellen Erwartungen der Bewerbenden. Dabei wird auch auf die Werteorientierung eines Unternehmens geachtet, etwa wie nachhaltig es ist". ,,Unternehmen müssen darauf achten, jüngere Mitarbeiter nicht zu bevorzugen, denn sonst können Spannungen mit älteren Mitarbeitern entstehen“, warnt Weise von der IHK. Die waren es oft gewohnt, auch unbezahlte Überstunden zu leisten oder mal am Wochenende rein zu kommen. ,,Unternehmen müssen lernen, beide Generationen abzuholen und Gerechtigkeit walten zu lassen. Es spricht sich herum, wenn Personen direkt nach dem Studium ein Einstiegsgehalt haben wie eine Person, die bereits zehn Jahre dabei ist. Das sorgt für Ärger", so Weise. Gerhard Bläske