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Finanzen

Homeoffice ist gesetzt

Die Heimarbeit kann auch einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Doch ĂĽber die Ausgestaltung streiten Betriebe und die Gewerkschaft.

Homeoffice ist gesetzt

Der Homeoffice-Schub wird einer Umfrage zufolge in vielen deutschen Unternehmen auch nach der CoronaPandemie anhalten. Foto: dpa/Jens Kalaene

In einem sind sich alle einig: Die Beschäftigung im Homeoffice wird ein dauerhafter Bestandteil der Arbeitswelt bleiben. Wissenschaftler, Arbeitgeber und Gewerkschaften glauben gleichermaßen an die Zukunft der gar nicht so ganz neuen Form der Heimarbeit. Wie weit diese inzwischen verbreitet ist, zeigt die jüngste Untersuchung des Münchner Ifo-Instituts. „Der Anteil der Arbeit im Homeoffice hat sich inzwischen bei 25 Prozent der Beschäftigten stabilisiert", sagt Oliver Falck, der Leiter des Ifo-Zentrums für Industrieökonomik.

,,Das dürfte auch der neue langfristige Wert werden", meint Falck. ,,Wir erleben derzeit einen spürbaren Rückgang der Präsenzkultur", heißt es beim Arbeitgeberverband Unternehmer BW. Eine Entwicklung, die auch Kai Burmeister, der Landesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Baden-Württemberg (DGB), so sieht: ,,Mobiles Arbeiten und Homeoffice werden nicht mehr verschwinden", sagt Burmeister.

Doch darüber, wie die Arbeit geregelt werden soll, gibt es zwischen und Gewerkschaft Arbeitgeberverband deutliche Differenzen. So etwa in der Frage eines Heizkostenzuschusses für Beschäftigte, die zu Hause tätig sind. ,,Wer zu Hause arbeitet, mag einen etwas höheren Energie- und Wasserverbrauch haben, er spart sich aber Fahrtzeiten und Pendlerkosten", sagt ein Sprecher des Arbeitgeberverbands. Mobiles Arbeiten dürfe kein Kostensenkungsprogramm für die Unternehmen werden, verlangt dagegen Burmeister: „Heiz- und Stromkostenzuschüsse sind das Gebot der Stunde." Besonders ausgeprägt ist die Heimarbeit nach der Untersuchung des Ifo-Instituts etwa bei Dienstleistungen - 36 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten in diesem Bereich im Homeoffice. Bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) liegt der Anteil bei 40 Prozent der Beschäftigten. Und bereits seit 2018 gibt es bei der LBBW eine Vereinbarung zum mobilen Arbeiten.

Anders als bei Dienstleistungen sieht es dagegen nach den Angaben der Münchner Wirtschaftsforscher im verarbeitenden Gewerbe aus. Dort sind weniger als 16 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Homeoffice tätig - wohl vor allem Büroangestellte. „Grundsätzlich ist mobile Arbeit für viele Beschäftigte, etwa in der Produktion, nicht möglich“, sagt der Sprecher von Unternehmer BW. Der DGB plädiert für einen Rechtsanspruch auf Homeoffice - was von den Arbeitgebern allerdings strikt abgelehnt wird. Zudem warnt Burmeister davor, dass die Trennung von Arbeitszeit und Freizeit nicht mehr eingehalten werden könnte.

"Die verstärkte Nutzung des Homeoffice führt zur Reduzierung des Individualverkehrs."
Daniel Eisenhut, Unternehmensberatung EY

,,Bei Bosch stehen die Ergebnisse im Mittelpunkt und nicht die Präsenz vor Ort", sagt eine Sprecherin. Weltweit könnten 150 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Arbeitsort in Absprache mit ihren Führungskräften auswählen - allerdings natürlich nicht in der Produktion. Beim Werkzeugmaschinenhersteller Trumpf in Ditzingen liegt die Quote der mobilen Arbeit aktuell bei 38 Prozent der überhaupt geleisteten Arbeit. Doch wer Lasermaschinen zusammenmontieren muss, kann das nicht zuhause am Küchentisch tun. Auch ,,Aufgaben mit hohem innovativen Anteil erfordern eher die persönliche Begegnung", sagt Personalvorstand Oliver Maassen.

,,Alle unsere Mitarbeitenden in Deutschland außerhalb der Produktion und der Logistikbereiche nutzen die Möglichkeit des Arbeitens", mobilen berichtet Sonja Fleischer, Gruppengeschäftsführerin Personal beim Ventilatorenhersteller EBM-Papst im hohenlohischen Mulfingen. Bis zu vier Tagen in der Woche könne mobil gearbeitet werden - was nicht unbedingt am Wohnort sein müsse. ,,Damit stärken wir unsere Position als attraktiver und familienfreundlicher Arbeitgeber." Ob effizient gearbeitet werde, hänge nicht vom Arbeitsort ab, heißt es bei EBM-Papst.

Homeoffice indes spielt nicht nur eine Rolle in Unternehmen, sondern kann auch dazu führen, dass mittelfristig weniger Büroflächen gebraucht werden. Die LBBW jedenfalls hat dieses Jahr ihre Büroflächen schon reduziert und den Stuttgarter Kronprinzenbau aufgegeben. Carolin Hegenbarth, Bundesgeschäftsführerin des Immobilienverbands Deutschland (IVD), glaubt indes nicht, dass "unter dem Strich weniger Büroflächen benötigt werden. Diese müssten sich allerdings stärker neuen Arbeitsweisen anpassen. Wie stark sich die Städte durch Homeoffice verändern, lasse sich im Moment noch nicht sagen, meint Ricarda Pätzold. Doch eine Gefahr könnte nach Ansicht der Wissenschaftlerin vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) in Berlin drohen: Durch Homeoffice könne sich ,,die Wohnungsnot noch verschärfen", befürchtet Pätzold. ,,Wenn nicht gerade ein Kinderzimmer frei wird, haben die meisten Menschen keinen zusätzlichen Raum für die Büroarbeit zu Hause", sagt sie.

In Bussen und Bahnen fehlten ,,natürlich die Pendler, wenn sie zu Hause arbeiten", sagt ein Sprecher des Verkehrsverbunds Stuttgart (VVS), ,,man darf den Einfluss des Berufsverkehrs aber nicht überschätzen, viele Fahrten werden in der Freizeit unternommen, zum Einkaufen oder zu Besuchen". Ähnlich sieht man dies auch bei der Deutschen Bahn. ,,Es wird künftig mehr Fahrgäste bei der Bahn geben, ganz unabhängig vom Homeoffice", meint ein Sprecher. ,,Die verstärkte Nutzung des Homeoffice führt zu einer Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs", sagt Daniel Eisenhut von der Unternehmensberatungsgesellschaft EY. Zusammen mit der Verteuerung des Autofahrens und einer stärkeren Attraktivität des ÖPNV werde sich dies ,,nicht positiv" auf die Zahl der Arbeitsplätze in der Autoindustrie auswirken. Damit gerade die Ballungsräume noch mehr vom Autoverkehr entlastet würden, müssten auch die öffentlichen Verkehrsmittel noch besser vernetzt werden.

Für den baden-württembergischen Verkehrsminister Winfried Hermann jedenfalls ist eines absehbar: ,,Homeoffice kann deutlich zur Vermeidung von Verkehren beitragen." Dabei geht es ihm nicht nur um lästige Staus auf überfüllten Straßen: ,,Homeoffice kann auch zum Klimaschutz beitragen." Ulrich Schreyer